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Guantanamo

Grüne/EFA Entschließungantrag - Juni 2006

von Kathalijne Maria Buitenweg, Jean Lambert, Cem Özdemir, Hélène Flautre, Angelika Beer, Raül Romeva i Rueda, Monica Frassoni und Daniel Marc Cohn-Bendit
im Namen der Grüne/EFA-Fraktion

Das Europäische Parlament,

– unter Hinweis auf die Entschließung der Parlamentarischen Versammlung des Europarates vom 25. April 2005 betreffend die Rechtmäßigkeit der Inhaftierungen durch die Vereinigten Staaten in der Bucht von Guantánamo,

– unter Hinweis auf seine Entschließungen vom 10. März 2004, 28. Oktober 2004 und 16. Februar 2006 zu Guantánamo,

– in Kenntnis des Berichts der Menschenrechtskommission vom 15. Februar 2006 zu Guantánamo, in dem gefordert wird, dass das Lager unverzüglich aufgelöst und die verbleibenden Gefangenen entweder einem Gerichtsverfahren zugeführt oder freigelassen werden,

– in Kenntnis der Schlussfolgerungen und Empfehlungen des VN-Ausschusses für die Bekämpfung der Folter betreffend die Vereinigten Staaten von Amerika, die am 19. Mai 2006 veröffentlicht wurden und in denen kritisiert wird, dass Gefangene auf unbegrenzte Zeit in der Bucht von Guantánamo inhaftiert werden, und die Schließung des Lagers gefordert wird,

– unter Hinweis auf die Veröffentlichung der Liste von 759 ehemaligen und derzeitigen Gefangenen in der Bucht von Guantánamo vom 15. Mai 2006 durch das US-Pentagon, von denen etwa 490 weiterhin in Haft sind, wobei nicht angegeben wurde, ob die Liste alle Inhaftierten enthält,

– unter Hinweis auf die so genannten "Combatant Status Review Tribunals (CSRT)", die die US-Regierung als Reaktion auf das Urteil in der Rechtssache Rasul gegen Bush mit Gremien von drei Offizieren eingerichtet hat um festzustellen, in welchen Fällen zurecht eine Einstufung als "feindliche Kämpfer" erfolgt ist,

– unter Hinweis auf die Rechtssache Hamdan gegen Rumsfeld vor dem Obersten Gerichtshof, der über die Rechtmäßigkeit dieser Militärtribunale entscheiden wird,

– in Kenntnis des Interviews, das Präsident Bushs im deutschen öffentlich-rechtlichen Fernsehen am 7. Mai 2006 gegeben hat und in dem er äußerte, dass er das Lager von Guantánamo gerne schließen würde,

–  unter Hinweis auf die Forderung von Kanzlerin Angela Merkel, Premierminister Tony Blair, VN-Generalsekretär Kofi Annan u. a. nach Schließung von Guantánamo,

– in Kenntnis des Zwischenberichts von Dick Marty, Sonderberichterstatter des Ausschusses für Rechtsfragen und Menschenrechte der Parlamentarischen Versammlung des Europarats, vom 24. Januar und des Zwischenberichts von Terry Davies, Generalsekretär des Europarates, vom 12. April 2006 über die Ausübung seiner Befugnisse nach Artikel 52 der Europäischen Menschenrechtskonvention nach Berichten, wonach Einzelpersonen, insbesondere Personen, die einer Verwicklung in Terrorakte verdächtigt werden, durch oder auf Veranlassung ausländischer Dienste festgehalten und inhaftiert oder transportiert worden sein sollen,

– in Kenntnis des Entwurfs eines Zwischenberichts seines Nichtständigen Ausschusses zur behaupteten Nutzung europäischer Staaten durch die CIA für die Beförderung und das rechtswidrige Festhalten von Gefangenen,

– gestützt auf Artikel 103 Absatz 2 seiner Geschäftsordnung,

A. in der Erwägung, dass die Gefangenen von Guantánamo willkürlich festgenommen und ohne Kontakt zur Außenwelt festgehalten, gefoltert und misshandelt werden und kein Recht auf ein faires Gerichtsverfahren haben, und in der Erwägung, dass diejenigen Angehörigen der Sicherheitskräfte, die Menschenrechtsverletzungen begehen, weitgehende Straffreiheit genießen,

B. in der Erwägung, dass mehr als vier Jahre vergangen sind, seit die ersten im "Krieg gegen den Terror" festgenommenen Gefangenen in der Bucht von Guantánamo im Januar 2002 als "feindliche Kämpfer" interniert wurden,

C. in der Erwägung, dass bislang nur gegen 10 der verbleibenden 490 Gefangenen Anklage wegen einer Straftat erhoben wurde, und dass nicht ein einziger einem Gerichtsverfahren zugeführt wurde,

D. in der Erwägung, dass die Gefangenen von Guantánamo am 20. Mai in einem Gefangenenaufstand, bei dem mehrere Menschen verletzt wurden, zu Gewalt gegriffen haben, um sich gegen ihre entwürdigende Behandlung, Folter und eine Situation eines "rechtlichen schwarzen Loches" zu wehren,

E. in Kenntnis der Tatsache, dass am selben Tag zwei getrennte Selbstmordversuche stattfanden, wodurch sich die Zahl von Selbstmordversuchen seit der Einrichtung des Gefangenenlagers auf 41 erhöht hat,

F. unter Hinweis auf die vor kurzem veröffentlichte Studie der juristischen Fakultät der Universität Seton Hall, New Jersey, in der festgestellt wurde, dass die Mehrzahl der 517 in Guantánamo gefangen gehaltenen Personen, die von den Militärtribunalen im Jahr 2004 verhört wurden, keiner feindlichen Akte gegen die Vereinigten Staaten oder ihre Verbündeten beschuldigt wird, und dass nur 5 Prozent unmittelbar von den Streitkräften der Vereinigten Staaten festgenommen wurden; unter Hinweis auf Berichte, nach denen die Mehrzahl der Gefangen den Streitkräften der Vereinigten Staaten gegen Geldzahlungen übergeben wurde, was eine Form des Menschenhandels darstellt,

G. unter Hinweis auf die Aussage des Generalsekretärs des Europarates, dass "beinahe kein Mitgliedsstaat .... über Maßnahmen [verfügt], um Personen vor Menschenrechtsverletzungen zu schützen, die durch Mitarbeiter befreundeter ausländischer Sicherheitsdienste auf ihrem Staatsgebiet begangen wurden",

1. bekräftigt seine Forderung nach unverzüglicher Schließung des Gefangenenlagers in der Bucht von Guantánamo; fordert, dass die Gefangenen freigelassen werden, wobei sichergestellt werden muss, dass sie nicht in einen Staat überführt werden, in dem die Gefahr besteht, dass sie gefoltert werden, oder dass solche Personen, die verdächtigt werden, eine Straftat begangen zu haben, die international anerkannt werden kann, in Verfahren strafrechtlich belangt werden, die den internationalen Standards für Fairness entsprechen;

2. besteht darauf, dass allen denjenigen Gefangenen, die nicht in ihre Heimat oder an den Ort, an dem sie festgenommen wurden, zurückgeführt werden können, ein Aufenthaltsrecht gewährt werden muss; fordert die EU-Mitgliedstaaten auf, die Initiative zu ergreifen, um eine Lösung für diejenigen Gefangen zu finden, gegen die nicht rechtlich vorgegangen werden wird und die nicht in das Land zurückkehren können, aus dem sie stammen oder in dem sie wohnten, weil sie staatenlos geworden sind, oder weil ihnen Folter oder eine andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung droht;

3. teilt die Auffassung des Europarates, dass die Regierung der Vereinigten Staaten die Wahrung der Rechtsstaatlichkeit und der Menschenrechte dadurch gewährleisten muss, dass sie Gefangene nicht auf Grund diplomatischer Zusicherungen von Ländern zurückführt oder überstellt, in denen der begründete Verdacht besteht, dass die Gefangenen Gefahr laufen, gefoltert oder einer grausamen, unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt zu werden;

4.  verurteilt die Missachtung des Völkerrechts durch die Regierung der Vereinigten Staaten im "Krieg gegen den Terror" und die schweren Verbrechen, die von staatlichen Stellen der Vereinigten Staaten in Guantánamo und anderen Gefangenenlagern innerhalb und außerhalb der Vereinigten Staaten begangen werden, wodurch ihre eigenen Bemühungen zur Bekämpfung des Terrors untergraben werden;

5. fordert die staatlichen Stellen der Vereinigten Staaten auf, sämtliche "besonderen Verhörmethoden" unverzüglich zu unterlassen, einschließlich von Methoden, bei denen sexuelle Erniedrigung, so genanntes "Waterboarding" oder Wasserkur, so genanntes "Short Shackling" (Anketten von Häftlingen in fötaler Position) und Hunde zur Erzeugung von Angst eingesetzt werden, welche Folter oder eine grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung darstellen;

6. nimmt zur Kenntnis, dass ein Vertreter der Vereinigten Staaten in den Anhörungen des Ausschusses gegen die Folter ausgesagt hat, dass das US-amerikanische Recht keine Ausnahme von dem "ausdrücklichen gesetzlichen Verbot der Folter" zulässt, und fordert von der Regierung der Vereinigten Staaten, anzuerkennen und sicherzustellen, dass das Übereinkommen gegen Folter immer - sowohl in Zeiten des Friedens, des Krieges oder bewaffneter Konflikte - in jedem Gebiet gilt, in dem sie die Hoheitsgewalt ausübt;

7. fordert von der Regierung der Vereinigten Staaten, die CSRT aufzulösen, die sämtliche internationalen Standards für Mindestbedingungen für ein faires Verfahren verletzen, da bei ihnen in keiner Weise die Unabhängigkeit von der Exekutive gegeben ist, kein Anspruch auf Berufung bei einem unabhängigen und unparteiischen Gericht besteht, und da sie dem Angeklagten Zugang zu einem Rechtsbeistand seiner Wahl, zu geheimen Beweisen und sogar zu Teilen des Verfahrens verwehren; weist daraufhin, dass die CSRT Beweise berücksichtigen können, die unter Folter oder anderen Misshandlungen zustande gekommen sind, und dass diese Tribunale ausschließlich ausländischen Staatsangehörigen vorbehalten sind, was eine Verletzung des Rechts auf Gleichbehandlung vor Gericht darstellt;

8. fordert die Regierung der Vereinigten Staaten auf, den entsprechenden VN-Gremien und internationalen Menschenrechtsorganisationen ungehinderten Zugang zu den Gefangenen in der Bucht von Guantánamo zu gewähren, und besteht darauf, dass unabhängige medizinische Sachverständige die Möglichkeit haben sollten zu überprüfen, ob die gesamte Bandbreite medizinischer und psychiatrischer Behandlungen zur Verfügung steht;

9. fordert seine zuständigen Gremien auf zu beschließen, eine Ad-hoc-Delegation des Europäischen Parlaments nach Guantánamo zu entsenden, und fordert die staatlichen Stellen der Vereinigten Staaten auf, ungehinderten Zugang zu den Örtlichkeiten und den Gefangen zu gewähren;

10. fordert die staatlichen Stellen der Vereinigten Staaten auf sicherzustellen, dass sämtliche Vorwürfe der Folter und anderer Misshandlungen unter Beteiligung von Angehörigen der US-amerikanischen Sicherheitskräfte unverzüglich und eingehend durch unabhängige und unparteiische zivile Organe und unter strikter Einhaltung des Völkerrechts und der Standards für Untersuchungen von Menschenrechtsverletzungen untersucht werden, und dass die Schuldigen vor Gericht gestellt werden;

11. betont, dass diejenigen, die rechtswidrig festgenommen und/oder gefoltert oder misshandelt wurden, während sie sich in US-Gewahrsam befanden, im Einklang mit Artikel 14 des Übereinkommens gegen Folter eine vollständige Entschädigung erhalten sollten, einschließlich Wiederherstellung, Schadensersatz, Rehabilitation und Garantien, dass keine Wiederholung vorkommt, unabhängig von ihrem Aufenthaltsort;

12. fordert die EU-Mitgliedsstaaten auf, ihrer Verpflichtung zum Schutz von Unionsbürgern nachzukommen und bei den staatlichen Stellen der Vereinigten Staaten vorstellig zu werden und sicherzustellen, dass diese Rechte im Falle von allen in Guantánamo internierten europäischen Bürgern oder solchen Gefangenen, die enge Verbindungen zu einem Mitgliedstaat aufweisen, gewahrt werden;

13. bedauert, dass die Regelungen für die Tätigkeiten von Geheimdiensten offensichtlich in mehreren Mitgliedstaaten der Union unzureichend sind, was bedeutet, dass wirksamere Kontrollen eingeführt werden müssen, insbesondere hinsichtlich der Zusammenarbeit mit ausländischen Geheimdiensten, und ist der Auffassung, dass es dringend erforderlich ist, legislative Maßnahmen auf nationaler und EU-Ebene zu ergreifen;

14. beauftragt seinen Präsidenten, diese Entschließung dem Rat, der Kommission, der VN-Menschenrechtskommission und der Regierung der Vereinigten Staaten von Amerika zu übermitteln.

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© Alexander Briel
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