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zur Lage in Tunesien

Grüne/EFA Entschließungantrag

Das Europäische Parlament,

–    unter Hinweis auf das Europa-Mittelmeer-Abkommen zwischen der Europäischen Union und Marokko, das am 1. März 1998 in Kraft trat,

 

–    unter Hinweis auf die Mitteilung der Kommission vom 12. Mai 2004 zur Europäischen Nachbarschaftspolitik und auf den Aktionsplan EU – Tunesien, der am 4. Juli 2005 in Kraft trat,

 

–    unter Hinweis auf seinen am 16. Februar 2006 angenommenen Bericht über die Menschenrechts- und Demokratieklausel in den Abkommen der Europäischen Union,

 

–    unter Hinweis auf die im Juni 2004 angenommenen und im Dezember 2008 aktualisierten Leitlinien des Rates zum Schutz von Menschenrechtsverteidigern,

      

–    unter Hinweis auf den Bericht der Arbeitsgruppe für die regelmäßige allgemeine Überprüfung Tunesiens im Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen vom 10. April 2010,

 

–    unter Hinweis auf die Schlussfolgerungen des Rates „Allgemeine Angelegenheiten und Außenbeziehungen“ zur Verstärkung der Beziehungen zwischen der EU und den europäischen Partnern vom 8. und 9. Dezember 2008,

 

–    unter Hinweis auf die Erklärung der Europäischen Union im Anschluss an die 8. Tagung des Assoziationsrates EU-Tunesien vom 11. Mai 2010,

 

–    unter Hinweis auf den Folgebericht „Tunesien“ vom 12. Mai 2010,

 

–    unter Hinweis auf seinen Bericht über Maßnahmen der EU zugunsten von Menschenrechtsverteidigern, der am 14. Mai 2010 angenommen wurde,

 

–    unter Hinweis auf seine früheren Entschließungen zu den Menschenrechten in Tunesien und insbesondere seine Entschließungen vom 29. September 2005, 15. Dezember 2005 und 15. Juni 2005,

 

–    unter Hinweis auf die gemeinsamen Erklärungen der Hohen Vertreterin der EU, Catherine Ashton, und des für die Erweiterung und die Nachbarschaftspolitik zuständigen Kommissionsmitglieds, Štefan Füle, vom 10. und 17. Januar 2011,

 

–    gestützt auf Artikel 110 Absatz 2 seiner Geschäftsordnung,

 

A.  in der Erwägung, dass die verzweifelte Tat von Mohammed Bouazizi, der sich am 17. Dezember 2010 in Sidi Bouzid selbst verbrannt hatte, einen Volksaufstand ausgelöst hat, in dessen Rahmen die Forderung nach umfassenden politischen Änderungen in Tunesien erhoben wurde,

 

B.   in der Erwägung, dass die friedliche Protestbewegung in ganz Tunesien Verbreitung fand und von den Sicherheitskräften mit Gewalt unterdrückt wurde, wobei mehr als einhundert Menschen ums Leben kamen, und insbesondere unter Hinweis auf den Feuerwaffeneinsatz gegen Demonstranten, Schnellhinrichtungen, willkürliche Inhaftierungen, Folterungen in Gefängnissen und Verschleppungen,

 

C.  in der Erwägung, dass Präsident Ben Ali am 14. Januar 2011 das Land verlassen hat und gemäß Artikel 57 der tunesischen Verfassung endgültig ersetzt wurde und dass die Armee in diesem Zusammenhang eine Schlüsselrolle gespielt hat, indem sie die Demonstranten und die Bevölkerung schützte und den Machtwechsel unterstützte,

 

D.  in der Erwägung, dass die Milizen des ehemaligen Präsidenten Ben Ali nach wie vor die Bevölkerung terrorisieren und für zahlreiche Ausschreitungen verantwortlich sind und daher eine ernsthafte Gefahr für die gesamte Bevölkerung darstellen,

 

E.   in der Erwägung, dass die Beziehungen zwischen der Europäischen Unon und Tunesien seit dem 17. Juli durch ein Assoziationsabkommen, das eine Menschenrechtsklausel enthält, und seit dem 4. Juli 2005 durch einen Aktionsplan geregelt werden, der im Rahmen der europäischen Nachbarschaftspolitik und gemäß Artikel 8 und 21 des EUV auf dem beiderseitig anerkannten Engagement für gemeinsame Werte wie Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, gute Regierungsführung und Achtung der Menschenrechte beruht,

 

F.   in der Erwägung, dass die Europäische Union nicht in der Lage ist, eine wirklich kohärente und wirksame Außenpolitik gegenüber seinen Partnerländern zu verfolgen, und insbesondere die Mechanismen für die Zusammenarbeit zwischen der EU und Tunesien mangelhaft sind, wobei es erneut fordert, dass die Menschenrechtsklauseln in den Assoziationsabkommen mit einem Mechanismus zur wirksamen Durchsetzung dieser Klauseln ergänzt werden,

 

G.  in der Erwägung, dass es bei der derzeitigen Neugestaltung der Nachbarschaftspolitik unbedingt erforderlich ist, die in Artikel 21 des EUV festgelegten Werte und Grundsätze systematisch einzubeziehen, eine größere Wachsamkeit hinsichtlich der Wahrung dieser Werte zu ermöglichen, eindeutige und präzise Bewertungsmechanismen vorzusehen, mit denen echte Reformen im Zusammenhang mit der Einhaltung und der Förderung der Menschenrechte und demokratischer Prinzipien und einer tragfähigen Entwicklung in den Bereichen Wirtschaft, Soziales und Umwelt gestützt werden, und eine Konditionalitätsklausel in Bezug auf den weitergehenden Status einzuführen,

 

1.   bekundet seine Solidarität mit dem tunesischen Volk, das, angetrieben durch legitime demokratische Bestrebungen, sein Land an einen historischen politischen Wendepunkt geführt hat, indem es die 23 Jahre währende Diktatur stürzte; begrüßt in diesem Zusammenhang den Mut des tunesischen Volkes und seine Entschlossenheit in diesen vier Wochen der friedlichen Demonstrationen und betont die wichtige Rolle, die die Frauen dabei gespielt haben; drückt den Familien der Opfer sein Beileid aus;

 

2.   begrüßt und unterstützt nachdrücklich den Übergang zur Demokratie in Tunesien und fordert die Bildung einer Übergangsregierung, die für Vertreter der Zivilgesellschaft offensteht und das Vertrauen der Bevölkerung genießt; hält es für fragwürdig, dass Spitzenvertreter des Ben-Ali-Regimes weiterhin Ministerposten innehaben, insbesondere im Fall des Innenministeriums;

 

3.   begrüßt die ersten Beschlüsse, die gefasst wurden und die die Freilassung politischer Gefangener, die Auflösung des Informationsministeriums, die Gewährleistung der freien Meinungsäußerung, die Anerkennung aller Oppositionsparteien und die Registrierungsmöglichkeit für nichtstaatliche Organisationen betreffen;

 

4.   begrüßt die Einrichtung von drei nationalen Kommissionen, die sich mit den Ereignissen nach dem 17. Dezember 2010, der Bekämpfung der Korruption und der Reform der Institutionen und Gesetzgebung befassen sollen; ist der Ansicht, dass sich ihre Arbeit uneingeschränkt auf die Umgestaltung und die Demokratisierung des Landes ausrichten soll, und wünscht, dass ihre Empfehlungen im Rahmen der anstehenden Gesetzgebungsreformen und institutionellen Reformen berücksichtigt werden;

 

5.   hält es für äußerst wichtig, dass sich diese Kommissionen aus unabhängigen Persönlichkeiten aus der Zivilgesellschaft zusammensetzen und sie wirksame Untersuchungsbefugnisse erhalten, mit der Bereitschaft zur Zusammenarbeit seitens aller staatlichen Stellen rechnen können und über entsprechende Haushaltsmittel und Humanressourcen verfügen, die für eine effiziente Tätigkeit erforderlich sind; ist der Ansicht, dass diesen Kommissionen der Sachverstand und die Unterstützung der Hohen Kommissarin für Menschenrechte und die einschlägigen Mechanismen der Vereinten Nationen zugute kommen müssen;

 

6.   betont, wie wichtig es ist, dass die erforderlichen Bedingungen geschaffen werden, um freie und transparente Parlaments- und Präsidentschaftswahlen unter internationaler Beobachtung innerhalb einer angemessenen Frist durchführen zu können, damit eine wirkliche Demokratie entsteht, die internationalen Standards entspricht;

 

7.   betont, dass eine unabhängige Justiz geschaffen und im Rechtswesen ein Übergangsprozess eingeleitet werden muss;

 

8.   fordert den Rat, den Europäischen Auswärtigen Dienst und die Kommission auf, den gegenwärtigen Übergang zur Demokratie zu fördern, indem sie die Zivilgesellschaft und die Reformen politisch und finanziell unterstützen, die für die Demokratisierung des Landes erforderlich sind, zu der insbesondere die freie Meinungsäußerung, die Rede-, Presse-, Vereinigungs- und Versammlungsfreiheit sowie die Unabhängigkeit der Justiz gehören;

 

9.   fordert, dass der Aktionsplan in ein Programm zur Unterstützung des Übergangs zur Demokratie umgewandelt wird, indem vor allem die für die Zivilgesellschaft bestimmten Programme mit allen verfügbaren Finanzinstrumenten und erforderlichenfalls mit humanitärer Hilfe gestärkt werden; fordert in diesem Zusammenhang eine Aufstockung der für Tunesien vorgesehenen gemeinschaftlichen Mittel; betont, dass die Organisationen zur Förderung der Rechte der Frauen unterstützt werden müssen, und ist der Ansicht, dass eine unter der Schirmherrschaft von Catherine Ashton stehende Konferenz zum Thema „Frauen und der Übergang zur Demokratie“ veranstaltet werden sollte;

 

10. fordert den Europäischen Auswärtigen Dienst und die Kommission auf, alle erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen, damit die Einrichtung und die Tätigkeit der drei nationalen Kommissionen uneingeschränkt unterstützt wird;

 

11. begrüßt den gemeinsamen Vorschlag der Hohen Vertreterin der EU, Catherine Ashton, und des für die Erweiterung und die Nachbarschaftspolitik zuständigen Kommissionsmitglieds, Štefan Füle, Unterstützung für die Wahlen bereitzustellen, und bittet sie, sich nicht auf den Zeitraum der Wahlen zu beschränken, sondern der Notwendigkeit der Begleitung des Demokratisierungsprozesses Rechnung zu tragen; fordert die EU mit Nachdruck auf, in diesem Zusammenhang eine aktive Rolle zu spielen;

 

12. fordert, dass alle mit dem alten Regime eingeleiteten Verhandlungen angesichts der bevorstehenden freien und demokratischen Wahlen ausgesetzt werden;

 

13. fordert die Europäische Union auf, gezielte Sanktionen gegen Personen zu verhängen, die zu ihren Gunsten das Vermögen Tunesiens veruntreut haben, indem ein Visaverbot für diese Personen erlassen wird, und fordert die Mitgliedstaaten, die dies noch nicht getan haben, dafür zu sorgen, dass das Vermögen der Familie Ben Ali und ihrer Verwandten eingefroren wird und die illegal angeeigneten Vermögensgüter an Tunesien zurückgegeben werden;

 

14. fordert die Vertreter der EU und der Mitgliedstaaten auf, sicherzustellen, dass alle Vertreter der Demokratisierung in Tunesien in den diplomatischen Dialog einbezogen werden; ist in diesem Zusammenhang der Ansicht, dass auch die in Tunis tätigen Vertreter der EU und der Mitgliedstaaten den neuen politischen Gegebenheiten Rechnung tragen und von der Unterstützung und dem Vertrauen der Akteure des Wandels profitieren sollten; fordert, dass die EU zu diesem Zweck einen Sonderbeauftragten für Tunesien benennt;

 

15. fordert die Europäische Union mit Nachdruck auf, die entsprechenden Lehren aus den Entwicklungen in Tunesien zu ziehen und ihre Politik zur Förderung der Demokratie und der Menschenrechte zu überprüfen, damit die Zivilgesellschaft in den Mittelpunkt dieser Politik gerückt und insbesondere ein Mechanismus zur Durchsetzung der Menschenrechtsklauseln geschaffen wird; betont, dass im Rahmen der Neugestaltung der Nachbarschaftspolitik künftig der wirksamen Umsetzung der in Artikel 21 des Vertrags festgelegten Ziele Vorrang eingeräumt und diese Politik anhand der Kriterien in Bezug auf die Unabhängigkeit der Justiz, die Achtung der Grundfreiheiten, den Pluralismus, die Pressefreiheit und die Bekämpfung der Korruption bewertet werden muss;

 

16. fordert die Einrichtung einer interinstitutionellen Taskforce, an der auch das Europäische Parlament beteiligt ist und die in den nächsten Wochen die zu unterstützenden vorrangigen Maßnahmen neu festlegen und entsprechend den Bedürfnissen die bislang für Tunesien verwendeten Mittel aus den verschiedenen Finanzinstrumenten der Außenhilfe neu ausrichten soll;

 

17. beauftragt seinen Präsidenten, diese Entschließung dem Rat, dem Europäischen Auswärtigen Dienst, der Kommission, den Regierungen und Parlamenten der Mitgliedstaaten, der tunesischen Übergangsregierung, allen Akteuren des Wandels in Tunesien und der Hohen Kommissarin für Menschenrechte der Vereinten Nationen zu übermitteln.

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Zuständige Abgeordnete

Barbara Lochbihler
Barbara Lochbihler
MdEP

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