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Presse­mitteilung |

Makroökonomische Ungleichgewichte

Alarm-Bericht der Kommission ist auf einem Auge blind

EU-Kommissar Olli Rehn stellte heute zum ersten Mal den Alarm-Bericht ("Alert Mechanism Report") der Europäischen Kommission im Rahmen der neuen Prozedur zur Überwachung makroökonomischer Ungleichgewichte vor. Diese neue Prozedur, die makroökonomische Risken frühzeitig entdecken soll, war im Rahmen des von der EU in Folge der Finanzkrise verabschiedeten Gesetzespakets, dem sogenannten "Sixpack", eingeführt worden(1).

Zu den Schlussfolgerungen des Alarmberichts erklärt Sven Giegold, finanz- und wirtschaftspolitischer Sprecher der Grünen im Europaparlament:

"Hauptgrund für die anhaltenden Schwierigkeiten der Währungsunion sind die Ungleichgewichte in den Leistungsbilanzen einiger Kern- und Peripherieländer. Dauerhaft stabilisieren lässt sich die Eurozone nur, indem sich Defizit- und Überschussländer makroökonomisch aufeinander zubewegen. Der heute von Währungskommissar Olli Rehn erstmals vorgestellte Bericht leistet einen wichtigen Beitrag zur systematischen Aufdeckung der aktuellen Probleme der Eurozone, indem er Ungleichgewichte und Gefahren aufdeckt und so eine transparente Diskussion ermöglicht. Insofern bedeutet der Bericht einen echten Fortschritt im Vergleich zum bisherigen engen Stabilitäts- und Wachstumspakt.

Dieses neue und hilfreiche Werkzeug bedarf aber noch einiger Nachjustierungen. So werden bei der Auswertung des Scoreboards Verfehlungen schlicht vermerkt, ohne die relative Wichtigkeit des einzelnen Indikators und die Höhe der Abweichung vom Grenzwert zu erläutern. Ebenfalls zweifelhaft ist die Definition mancher Grenzwerte: Eine Verteuerung der nominalen Lohnstückkosten von mehr als 9 % innerhalb der letzten drei Jahre bedeutet in der Lesart der Kommission eine Verschlechterung der Wettbewerbsfähigkeit und wird daher beanstandet. Die Tatsache, dass jahrelange Nullrunden die Binnennachfrage schwächen und eine Volkswirtschaft in die Abhängigkeit schwankender Exporte begibt, bleibt außen vor. Bereits an dieser Stelle wird die asymmetrische Grundausrichtung des Scoreboards ersichtlich.

Besonders scharf zu kritisieren ist, dass der Bericht in Bezug auf den Leistungsbilanzsaldo Defizit- und Überschussländer mit zweierlei Maß misst, da Überschüsse erst ab 6 %, Defizite dagegen bereits ab 4 % beanstandet werden. Der vorgelegte Bericht ist auf einem Auge blind, wenn Deutschland mit einem Leistungsbilanzüberschuss von 5,9 % des BIP ungeschoren davonkommt, während Polen mit 5 % Defizit an den Pranger gestellt wird. Damit scheint sich die intensive Lobbyarbeit der Bundesregierung gelohnt zu haben, die die Ansicht vertritt, dass Überschüsse weniger schädlich seien als Defizite. Hohe Überschüsse sind jedoch nur möglich, wenn woanders in selber Höhe Schulden gemacht werden. Die Überschussländer trifft insofern eine Mitschuld an der verheerenden Situation der Defizitländer. Sie stehen deshalb genauso in der Pflicht, dem Auseinanderdriften der europäischen Volkswirtschaften entgegenzusteuern und sollten folglich ebenfalls gerügt werden. Nur so lässt sich die Stabilität der Eurozone sicherstellen. Vor diesem Hintergrund mag die fehlende Kritik an Deutschland zwar die Bundesregierung beruhigen, der Stabilität der Eurozone hilft sie jedoch nicht."

Anmerkungen:

1) Teil des im Sommer verabschiedeten Economic Governance-Pakets (Sixpack) ist eine Verordnung, die eine Reihe von Indikatoren zur Analyse wirtschaftlicher Ungleichgewichte (Scoreboard) einführt. Dieses Scoreboard definiert die Schwerpunkte, die bei der Analyse der wirtschaftlichen Ungleichgewichte der Mitgliedstaaten in den Blick genommen werden. Laut Sixpack drohen Mitgliedstaaten auf Grundlage dieser Untersuchung Sanktionen, wenn sie die Vorgaben von Kommission und Rat zum Abbau von Ungleichgewichten nicht umsetzen. Der Rat kann die von der Kommission vorgeschlagenen Maßnahmen und Sanktionen nur mit umgekehrter qualifizierter Mehrheit abwenden.

Den Bericht der Kommission finden Sie hier:

http://ec.europa.eu/economy_finance/economic_governance/documents/alert_mechanism_report_2012_en.pdf

Weitere Informationen zur Kommentierung des Alarm-Berichts finden Sie hier: http://tinyurl.com/7eugubg

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