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Gute Polizeiarbeit statt Massenüberwachung

für eine Sicherheitspolitik mit Augenmaß

von Jan Philipp Albrecht, Judith Sargentini and Eva Joly

Drei magische Buchstaben sollen die Europäer in Zukunft gegen Terroristen schützen: PNR. Dahinter steckt die Sammlung von Fluggastdaten innerhalb der Europäischen Union. Seit den Anschlägen von Paris wiederholen die Innenminister und die Staats- und Regierungschefs dieses Mantra gebetsmühlenartig.

Unterstützung werden sie heute von der Europäischen Kommission bekommen. Sie stellt ihre Sicherheitsagenda vor, ein Teil davon ist die anlasslose Überwachung der Fluggäste.  

Aber die Innenpolitiker erreichen damit nicht etwa mehr Sicherheit für die Bürger. Im Gegenteil: Noch mehr Datenwust führt im Zweifel dazu, dass Polizisten und Ermittler die sprichwörtliche Nadel im Heuhaufen überhaupt nicht mehr finden und potentielle Gefahren erst viel zu spät erkannt werden. Die Bundesregierung hat jetzt noch eins draufgelegt und will die tot geglaubte Vorratsdatenspeicherung wiederbeleben. Bundesjustizminister Heiko Maas ist vor Innenminister De Maizière und dem Druck von SPD-Parteichef Gabriel eingeknickt. Die anlasslose massenhafte Speicherung von Telekommunikationsdaten für zehn Wochen soll kommen. Und sie kann dann exakt so lange bleiben, bis sie der Europäische Gerichtshof ein zweites Mal einkassiert, wie schon vor einem Jahr geschehen. Abgesehen davon, dass die Bundesregierung die richterlichen Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts und des Europäischen Gerichtshofs ignoriert, wäre statt einer Massenüberwachung aller Bürgerr eine bessere Ausstattung der Ermittlungsbehörden der richtige Weg für mehr Sicherheit. Das mag so manchen erstaunen. Aber es stimmt: Wir Grünen fordern mehr Polizei und mehr Geld für sinnvolle Ermittlungsarbeit.

Gerade in Zeiten knapper Kassen wäre es unverantwortlich, alles verfügbare Geld nun in die anlasslose Überwachung von Fluggästen zu stecken. Zwei Zahlen machen das deutlich: Ein europäisches System zur Fluggastdaten-Sammlung könnte - nach Schätzungen der Europäischen Kommission - rund 500 Millionen Euro kosten. Die europäische Ermittlungsbehörde Europol hat zurzeit gerade einmal ein jährliches Budget von 500.000 Euro für gemeinsame Ermittlungsteams, in denen Beamte verschiedener Mitgliedstaaten gemeinsam an einem Fall arbeiten. Vom knappen Budget profitieren Terroristen: Viel zu oft endet eine Ermittlung oder Überwachung, wenn ein Gefährder das Land wechselt. Viel zu selten geben die zuständigen Behörden in einem EU-Mitgliedsland alle Erkenntnisse an ihre Kollegen in den Nachbarländern weiter. Dabei sind schon jetzt viele Daten vorhanden: Wir wissen, wer in welchem Flugzeug sitzt und wenn ein Kämpfer aus Syrien zurückkehrt und nach Frankreich einreist, sollten das sofort alle anderen Staaten wissen.

Aber wie soll das funktionieren, wenn in der Polizeiarbeit seit Jahren immer weiter gekürzt wird? Allein in Paris wurden 2014 rund 1.700 Stellen gestrichen. In Deutschland waren es nach Angaben der Polizeigewerkschaften,  die sich auf das Bundesinnenministerium berufen, 16.000. Sparmaßnahme. Diese Polizisten fehlen bei der Arbeit vor Ort. Sie fehlen in den Vierteln, in denen die Radikalisierung zunimmt und Jugendliche zu potentiellen Attentätern werden. Diese Polizisten vor Ort sind es, die Veränderungen erkennen und frühzeitig eingreifen können. Oder besser: Sie könnten, wenn das Geld dafür da wäre.

Langfristig kriegen wir das Problem aber nur in den Griff, wenn frühzeitig gegen Radikalisierung vorgegangen wird. Wenn Polizisten ein Vertrauensverhältnis aufbauen können zum Beispiel mit Imamen, dann haben sie eine Chance, wichtige Informationen rechtzeitig zu erhalten. Wenn Sozialarbeiter mit Jugendlichen kommunizieren und sich mit ihnen gemeinsam mit deren Problemen auseinander setzen, lässt sich das Risiko von Radikalisierung sicherlich nicht ausschließen, aber zumindest verringern. Geld ist dafür keines da.

Und diese groteske Liste der Fehlstellen lässt sich beliebig verlängern: In Deutschland fehlt noch immer in vielen Polizeidienststellen ein zuverlässiger und schneller Internetzugang. In Paris werden Staatsanwälte noch nicht einmal mit Smartphones ausgestattet. Wie sollen sie mit der rasanten Kommunikation von Terrorgruppen und radikalen Predigern gerade im Internet und in sozialen Medien mithalten? Der Bedarf ist riesig. Hier sollten die Regierungen ansetzen, statt überflüssige Massenüberwachung zu finanzieren.

Datensammeln ist wichtig und richtig, wenn es Verdachtsmomente oder konkrete Gefährdungen gibt. Wie das EU-weit funktionieren könnte, zeigt das gerade vom Europäischen Parlament verabschiedete System für die Bekämpfung von Geldwäsche und Korruption. Auf Grundlage fester Kriterien sollen "gefährdete" Personen identifiziert werden: Politiker, aber auch ihre Sekretäre und Fahrer. Sie werden, wenn sie zum Beispiel ein Konto eröffnen, überprüft, um sicher zu stellen, dass das Geld "sauber" ist. Alle übrigen Bürger werden von solchen Maßnahmen aber verschont.

Ein ähnliches System wäre auch in der Terrorbekämpfung denkbar. Im Fall Charlie Hebdo hätten die Ermittler so festgestellt, dass die Frau einer der Attentäter sich radikalisiert hatte und auf dem Weg nach Syrien war.

Wir brauchen einen besseren Austausch und mehr grenzüberschreitende Ermittlungsteams. Eine Idee könnte sein, eine gemeinsame, europäische Datenbank von Gefährdern anzulegen. So können Risiken frühzeitig erkannt und die Verantwortlichen strafrechtlich verfolgt werden, auch wenn sie das Land wechseln. Bisher haben sich die Regierungen in den EU-Mitgliedsstaaten immer gegen eine stärkere Zusammenarbeit vor allem der Geheimdienste gewehrt.

Besonders grotesk wird es, wenn man in die USA schaut: Dort, wo einst der Patriotic Act den Grundstein für Massenüberwachung gelegt hat, gibt es im Kongress immer mehr Stimmen, die eine Abkehr von der bisherigen Politik fordern und gezielte Ermittlungsarbeit stärken wollen. Daran sollten sich die Europäer ein Beispiel nehmen

Klar: In einem Staat wie China, in dem alle Bürgerinnen und Bürger praktisch ununterbrochen überwacht werden, mag das Risiko für Terroranschläge verringert werden. Aber: Wer will in einem autoritären Staat leben?

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10.11.2020

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