Fighting TotalEnergies: Warum Klimaaktivist*innen fossile Konzerne blockieren

Am 8. und 9. Oktober 2022 demonstrierten Aktivisten der Code Rouge/Rood Koalition gegen den milliardenschweren Erdölkonzern TotalEnergies. Durch verschiedene Aktionen blockierten über 1000 Aktivisten die Standorte von TotalEnergies in Feluy und Lüttich in Belgien. Sie besetzen Bahngleise und Straßen in der Nähe der TotalEnergies-Depots und errichteten re. wodurch das Unternehmen, seine gesamten Aktivitäten in Belgien vorübergehend einstellte.  

Aber wer sind die Leute hinter “Code Rouge”? Warum protestierte “Code Rouge” gegen TotalEnergies und die fossile Brennstoffindustrie? Und warum nutzen in Anbetracht der Klimakrise immer mehr Menschen zivilen Ungehorsam als Protestform?

Ein Europaabgeordnete der Grünen/EFA, Malte Gallée, schloss sich den Demonstrant*innen an diesem Wochenende als parlamentarischer Beobachter an. Nach der Aktion setzte er sich mit unserem Climate Campaign Praktikanten Michael zusammen, um über seine Eindrücke zu sprechen.

Malte Gallée © European Union 2022 - Source EP

Malte Gallée ist EU-Abgeordneter der Grünen/EFA aus Deutschland. Er kämpft für den Klimaschutz und für eine nachhaltige Industrie. Er ist der jüngste Europaabgeordnete in Brüssel.

Michael Staniszewski

Michael Staniszewski ist Klimagerechtigkeitsaktivist von Fridays for Future (FFF) aus Deutschland. Er arbeitete an der #NotMyTaxonomy-Kampagne und anderen Aktionen der Bewegung

Wer ist Code Rouge/Rood und was wollen sie?

Code Rouge/Rood ist ein Zusammenschluss verschiedener Organisationen und Gruppen, die für Klimagerechtigkeit kämpfen. Angesichts der Klimakatastrophe, explodierenden Energierechnungen, Menschenrechtsverletzungen, Neokolonialismus, Kriegen und Konflikten fordern sie eine gerechte Energiewende, weg von fossilen Brennstoffen hin zu einem erneuerbaren Energiesystem, das für alle funktioniert. Ihr Name “Code Rouge/Rood” (auf Deutsch: Code Rot) unterstreicht die Dringlichkeit von Klimaschutzmaßnahmen.

Why use civil disobedience against the climate crisis?

Warum ziviler Ungehorsam gegen die Klimakrise?

Michael: Du hast die Massenaktion des gewaltfreien zivilen Ungehorsams “Code Rouge/Rood” als parlamentarischer Beobachter begleitet. Haben Sie so einen Protest schon einmal miterlebt? 

Malte Gallée MdEP: Ich habe tatsächlich noch nie aktiv an einer solchen Aktion teilgenommen. Ich habe jedoch eine Aktion von “Ende Gelände” [der deutschen Bewegung für Klimagerechtigkeit, die einen Ausstieg aus der Kohlekraft fordert] logistisch unterstützt. Damals wurde Kohleinfrastruktur in Deutschland blockiert wurde. Daher kenne und schätze ich diese Form des Protests. Als parlamentarischer Beobachter bei Code Rouge/Rood musste ich genau beobachten, was sowohl die Aktivisten als auch die Polizei taten.

Michael: Wenn man von Ende Gelände spricht, so hört man oft, dass es zu Polizeigewalt und Repressionen gegen friedliche Aktivisten kommt. Wie war das bei den Code Rouge/Rood-Protesten?

Malte Gallée MEP: Das hat mich sehr überrascht! Die Aktion lief extrem gut und ich war unfassbar froh, dass ich keine Gewalt von beiden Seiten mitbekommen habe. Alles blieb friedlich. Die Aktivisten und die Polizei haben sich lediglich gegenseitig beobachtet.

Wer sind die Leute hinter Code Rouge/Rood?

Michael: Was sind das für Gesellschaftsgruppen, die mit Code Rouge/Rood protestierten? Kannst du uns etwas über die Menschen erzählen, die dir begegneten?

Malte Gallée MEP: Das ist die zweite Sache, die mich sehr positiv überrascht hat! Die Aktivisten repräsentierten ein breites gesellschaftliches Spektrum. Von 18-Jährigen bis hin zu Rentner*innen – es war eine wilde Mischung von Menschen, die sich den zerstörerischen und ausbeuterischen Interessen von TotalEnergies entgegen stellten. Es war ein wirklich generationenübergreifender Protest.

Michael: Das ist ja genau das, worum es bei der Generationengerechtigkeit geht: anzuerkennen, dass junge Menschen stärker unter den Folgen der Klimakrise leiden werden. Es ist schön zu sehen, dass es bei Code Rouge so viel Solidarität zwischen jüngeren und älteren Menschen gab. Warum sind denn solche Proteste notwendig und werden sie überhaupt gebraucht?

Malte Gallée MEP: Diese Art von Aktionen zeigt, wie anfällig und problematisch große fossile Infrastruktur ist. Ein hervorragendes Beispiel sind die Nord-Stream-Pipelines in der Ostsee, die durch mutmaßliche Sabotageakte beschädigt worden sind. Das zeigt, wie wir durch die Abhängigkeit von fossilen Energieträgern anfälliger für Gewalt und Krieg werden. Der Protest gegen diese Abhängigkeit setzt ein wichtiges Signal dafür, dass die Energieerzeugung der Zukunft dezentral und erneuerbar sein muss. Die jungen Generationen haben eine lebenswerte Zukunft verdient. Sie sollten die Möglichkeit haben, dieses Recht durch Protest zu verteidigen.

Die Wahrheit über TotalEnergies – Menschenrechtsverletzungen und das EACOP Projekt

Michael: Ich habe gesehen, dass Du mit einer Delegation von Europaabgeordneten diesen Sommer nach Uganda gereist bist, um mit Menschen vor Ort zu sprechen, die direkt von dem EACOP Projekt betroffen sind. Was hast du in Uganda erlebt und steht das in irgendeinem Zusammenhang mit der Code Rouge/Rood Aktion?

Malte Gallée MEP: Es gibt auf jeden Fall einen Zusammenhang, da sich die Code Rouge/Rood-Proteste direkt an TotalEnergies richteten. Ich denke, es ist wichtig, gegen das EACOP-Projekt Stellung zu beziehen. Wir müssen uns mit den davon betroffenen Menschen solidarisieren. Genau das hat Code Rouge/Rood getan. Deshalb wollte ich mein Privileg als Europaabgeordneter nutzen, um zu garantieren, dass friedlicher Protest gegen TotalEnergies stattfinden kann.

“Das ugandische System ist sehr repressiv. Die Menschen im Lande leiden massiv unter den Aktivitäten von Total. Sie werden von ihrem Land vertrieben”

EACOP – was ist das?

EACOP steht für “East African Crude Oil Pipeline” (zu Deutsch: ostafrikanische Rohölleitung). Dabei handelt es sich um ein Mega-Projekt fossiler Infrastruktur von TotalEnergies. Die über 1400 km lange Pipeline soll die längste beheizte Ölpipeline der Welt werden. Sie wird für mehr als 34 Millionen Tonnen CO2-Emissionen pro Jahr verantwortlich sein – das Siebenfache des jährlichen Ausstoßes von Uganda. Das Projekt ist höchst umstritten, da 400 Dörfer in Uganda und Tansania wegen der Pipeline vertrieben wurden und zahlreiche Menschenrechtsverletzungen gemeldet wurden. Die Pipeline durchquert über 200 Flüsse und soll durch wichtige Naturschutzgebiete führen. Doch es gibt Widerstand! Mehrere Klimagerechtigkeitsbewegungen haben sich hinter der #StopEACOP Kampagne vereint und fordern den Bau des Projekts zu verhindern.

In Uganda ist die Situation jedoch völlig anders. Das ugandische System ist sehr repressiv. Präsident Museveni ist seit 1986 an der Macht. Die Menschen im Lande leiden massiv unter den Aktivitäten von Total. Sie werden von ihrem Land vertrieben. Total weigert sich, Entschädigungen zu zahlen, und wenn sie sich gegen EACOP aussprechen, werden sie erpresst, verhaftet oder erhalten Morddrohungen. TotalEnergies leugnet all dies, weshalb es besonders wichtig war, vor Ort zu sein und die Geschehnisse zu dokumentieren.

Erst kürzlich wurde eine Gruppe von Studenten verhaftet, nachdem sie friedlich vor dem Europäischen Verbindungsbüro protestierten und versucht hatten, eine Petition zu übergeben. Die Polizei nahm ihnen die Handys ab und ich sah schreckliche Bilder, wie sie in Polizeiwagen geprügelt wurden. Das schockiert. Ich möchte das Recht auf Protest überall verteidigen und deshalb wollte ich parlamentarischer Beobachter sein.

Neokolonialismus – warum europäische Unternehmen afrikanische Länder für fossile Brennstoffe ausbeuten

Michael: Letztendlich ist die Pipeline dazu da, Rohöl aus Uganda heraus zu transportieren, um es für den internationalen Markt zu exportieren. Die Gewinne daraus gehen hauptsächlich an die reichen Aktionäre von TotalEnergies in Europa. Klingt nach Neokolonialismus, oder?

Malte Gallée MEP: Auf jeden Fall! In Uganda gibt es sogar ein Gesetz, das diese speziellen Praktiken verbietet. Per Gesetz ist es verboten, Rohstoffe zu exportieren, was leider immer noch ein großes Problem für viele afrikanische Staaten ist. Sie dienen als Rohstofflieferanten, ohne dass eine lokale Wertschöpfung stattfindet. Das bedeutet, dass die Rohstoffe nicht vor Ort weiterverarbeitet werden, so dass die lokale Bevölkerung nicht davon profitieren kann. 

Irgendwie hat die ugandische Regierung vergessen, dass Rohöl auch ein Rohstoff ist. TotalEnergies setzt also seine neokolonialen und imperialistischen Praktiken vor Ort fort.

Was ist Neokolonialismus?

Neokolonialismus ist die kontinuierliche Ausübung von Macht durch frühere Kolonialmächte über ehemalige kolonisierte Regionen und Gemeinschaften durch die Anwendung anderer Formen der Kontrolle. Während der Kolonialismus direkte militärische Kontrolle ausübt, werden heutzutage Abhängigkeitsverhältnis gegenüber neokolonialen Mächten geschaffen durch Globalisierung, konditionierte Hilfe als auch wirtschaftlichen oder kulturellen Imperialismus. Dies führt häufig zu Schulden. Um diese zurückzuzahlen, werden bereits durch koloniale Ausbeutung verarmte Länder dazu gezwungen, weiterhin natürliche Ressourcen wie fossile Brennstoffe abzubauen. Es sind vor allem die von der Klimakrise am stärksten betroffenen Menschen und Gebiete (auf Englisch: Most Affected People and Areas, kurz MAPA), die ausgebeutet werden und deren Situation sich durch diese neokolonialistischen Praktiken weiter verschlimmert. Deshalb muss sich die Klimagerechtigkeitsbewegung mit MAPA und Initiativen wie Debt for Climate solidarisch zeigen, um sich antikolonial zu positionieren. 

Was kann das Europäische Parlament gegen das EACOP-Projekt tun?

Michael: Ich denke, die dokumentierten Menschenrechtsverletzungen sprechen leider für sich. Gibt es eine Möglichkeit für die EU oder das Europäische Parlament, etwas gegen das EACOP-Projekt zu unternehmen? Immerhin ist TotalEnergies ein Unternehmen mit Sitz in Europa und sollte für europäische Rechte und Werte einstehen.

Malte Gallée MEP: Da stimme ich dir zu! Es gibt in Frankreich ein Gesetz, das die Lieferkette regelt, um sicherzustellen, dass Unternehmen Menschenrechte nicht verletzen. Deshalb hat das französische Gericht die Befugnis, Projekte von TotalEnergies zu verbieten, bis diese Probleme gelöst sind. Wir arbeiten an einem ähnlichen Gesetz auf europäischer Ebene. Wir brauchen ein europäisches Gesetz, das garantiert, dass sich europäische Unternehmen zum Schutz der Menschenrechte außerhalb Europas verpflichten.

Michael: Vor kurzem hat das Europäische Parlament eine Resolution zum EACOP-Projekt verabschiedet, in welcher es die Menschenrechtsverletzungen verurteilt. Aber interessiert das Total überhaupt?

Malte Gallée MEP: TotalEnergies versucht, das ganze Projekt zu verschleiern. Sie bewerben es als die klimafreundlichste Pipeline der Welt. Das ist sowas von irrsinnig! Das ist eine Pipeline! Die transportiert Öl, das dann verbrannt wird und dann in der Atmosphäre landet. Daran ist nichts klimafreundlich!

Aber langsam wird TotalEnergies doch schon nervös. Kürzlich haben sie der ugandischen Regierung in einem Brief mitgeteilt, dass sie die Menschenrechte respektieren sollten. Und was geschah? Zwei Tage später verhaftete die Regierung die friedlich protestierenden Studierenden. Ich kann mir gut vorstellen, warum der CEO von TotalEnergies, Patrick Pouyanné, sich weigerte, ins Europäische Parlament zu kommen, um unsere Fragen zu beantworten. Es wäre eine Katastrophe für ihn gewesen.

Ich würde ihn gerne fragen: Danke für den Brief Patrick, aber wie sieht es damit aus, mal Verantwortung für die Taten von TotalEnergies zu übernehmen? Schließlich sind Sie derjenige, der etwas dagegen tun könnte. Wie steht es damit?

Warum sich die Klimabewegung mit den Arbeitenden bei TotalEnergies solidarisieren muss

Michael: Eine weitere Sache, die mich wütend macht, ist, dass TotalEnergies in diesem Jahr rund 10 Milliarden Dollar Gewinn gemacht hat – und trotzdem bezahlen sie ihre Arbeiterinnen nicht anständig. Aus diesem Grund hat sich Code Rouge/Rood mit den Streiks der Arbeitenden in Frankreich solidarisiert. Die Streikenden fordern eine Lohnerhöhung von 10 %, um die Inflation und die höheren Energiekosten bewältigen zu können. Aufgrund der Streiks kam es in der Umgebung von Paris zu Versorgungsengpässen an vielen Tankstellen, was zu langen Warteschlangen führte. Es liegt auf der Hand, dass wir als Klimaaktivistinnen den Druck aufrechterhalten müssen. Ein erster wichtiger Schritt ist es über diese Themen in den sozialen Medien oder in unserem sozialen Umfeld zu sprechen. Was können wir sonst noch tun, um Druck auf TotalEnergies auszuüben und gleichzeitig Solidarität mit den streikenden Arbeitenden zu zeigen?

“Eines der wertvollsten Dinge, die wir in unserer Demokratie haben, ist der friedliche Protest!”

Malte Gallée MEP: Eines der wertvollsten Dinge, die wir in unserer Demokratie haben, ist der friedliche Protest! Wir sollten dieses Privileg nutzen, um zur Debatte beizutragen und gegen Total Stellung zu beziehen. Natürlich kann man Total boykottieren. Aber diese Probleme lassen sich nicht lösen, indem man die Verantwortung auf das Individuum abwälzt. Es ist die Aufgabe der Politiker, unsere Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen zu beenden, für die Menschen und den Planeten. Daran arbeiten wir als Grüne/EFA-Fraktion.

Möchten Sie etwas gegen die Gier der Unternehmen für fossile Brennstoffe und ihre neokolonialen Praktiken unternehmen? Wollen Sie sich für die Menschenrechte und die Rechte der Arbeitnehmer einsetzen? Dann kommen Sie am Sonntag, den 23. Oktober, zum großen Klimamarsch auf die Straßen von Brüssel. Die Demonstration wird um 13 Uhr am Brüsseler Nordbahnhof beginnen. Die Grünen/EFA-Fraktion wird mit Fahnen und Plakaten vertreten sein. Wir würden uns freuen, Sie dort zu sehen!