Angriff auf das EU-Gentechnikrecht gefährdet unser Essen, Gesundheit und Umwelt


14.10.2021 – EN | FR | IT

Die Europäische Kommission strebt an, das Gentechnikrecht der EU aufzuweichen. Sie plant, bestimmte gentechnisch veränderte Organismen (GVO) von den bestehenden Vorschriften auszunehmen, sodass die Agrarkonzerne sie ohne entsprechende Zulassung, Rückverfolgbarkeit oder Kennzeichnung vermarkten können. 


Die Abgeordneten der Grünen/EFA Martin Häusling (DE), Benoit Biteau (FR), Eleonora Evi (IT), Claude Gruffat (FR), Tilly Metz (LU), Michèle Rivasi (FR), Thomas Waitz (AT) and Sarah Wiener (AT) erklären, warum diese Pläne gefährlich sind, und die wichtigsten Argumente der Kommission ins Leere laufen.

Was ist ein GVO?

„GVO“ steht für „gentechnisch veränderter Organismus“. Eine Pflanze oder ein Tier wird „gentechnisch verändert“, wenn ihr Erbgut in einer Weise verändert wird, die in der Natur nicht vorkommt. Dies kann mit einer Reihe verschiedener Techniken geschehen.

Wir sind der Überzeugung, dass genmanipulierte Organismen in einer naturverträglichen Landwirtschaft nichts zu suchen haben. Dort, wo Gentechnik-Pflanzen angebaut werden, ist der Einsatz chemischer Pestizide gestiegen, und hat die Macht der großen Agrarkonzerne zugenommen – auf Kosten der Landwirt*innen, der Verbraucher*innen und der Natur. Wir fordern, dass alle Gentechnik-Produkte strikt reguliert werden. Sie müssen rückverfolgbar und klar gekennzeichnet sein, damit jeder, der dies möchte, sie meiden kann.

Wie will die EU-Kommission die Gentechnikgesetze der EU aufweichen?

Große Agrarkonzerne wie Bayer/Monsanto und Corteva (ehemals DowDuPont) setzen sich seit langem dafür ein, dass die EU ihre Gentechnikgesetze nur auf gentechnisch veränderte Pflanzen anwendet, bei denen artfremde DNA ins Erbgut eingeschleust wurde. Sie wollen, dass mittels neuer Gentechnikverfahren wie CRISPR hergestellte Pflanzen nicht als gentechnisch verändert eingestuft werden. 

Im April diesen Jahres unterstützte die EU-Kommission erstmals öffentlich diesen Standpunkt und kündigte an, einen gesonderten Rechtsrahmen für solche gentechnisch veränderten Pflanzen schaffen zu wollen. Die Kommission vermeidet das ungeliebte Wort „Gentechnik“ und bezeichnet diese Pflanzen lieber als „Pflanzen, die mithilfe bestimmter neuer genomischer Verfahren gewonnen werden“.

Die Pläne der Kommission stehen in direktem Widerspruch zum Europäischen Gerichtshof (EuGH). Das oberste Gericht der EU warnte, dass ein Ausschluss von Organismen, die mit neuen gentechnischen Verfahren hergestellt wurden, aus dem Anwendungsbereich des EU-Gentechnikrechts dessen Zweck beeinträchtigen würde. Der Schutz von Gesundheit und Umwelt würde damit geschwächt. 

Wie soll die Aufweichung unseres Gentechnikrechts den großen Agrarunternehmen zugute kommen?

Mit den Plänen der EU-Kommission könnte ein lang gehegter Traum von Bayer/Monsanto in Erfüllung gehen..

Denn wenn die EU ihre Vorgaben für die Rückverfolgbarkeit und Kennzeichnung von Gentechnikerzeugnissen aufhebt, hätten Landwirt*innen, Lebensmittelhersteller*innen und Verbraucher*innen keine Möglichkeit mehr, diese Produkte abzulehnen und sich für gentechnikfreie Erzeugnisse zu entscheiden. Auch die Zukunft der biologischen Landwirtschaft wäre in Gefahr, denn die muss, ihren eigenen Regeln zufolge, gentechnikfrei sein.

Die multinationalen Konzerne könnten das patentierte, jedoch nicht rückverfolgbare und nicht gekennzeichnete Gentechnik-Saatgut nutzen, um ihre Kontrolle über unsere Nahrungsmittelproduktion weiter auszubauen. Je mehr patentiertes Gentechnik-Saatgut auf dem Markt ist, desto schwieriger wird es für Züchter*innen, eine Verunreinigung mit solchem Saatgut zu vermeiden und Zugang zu nicht patentiertem, gentechnikfreiem Saatgut zu erhalten. 

Dies könnte die eigentliche Motivation hinter dem Drängen der Konzerne auf Deregulierung sein: Sie wollen Wettbewerber vom Markt drängen und die volle Kontrolle über den Saatgutmarkt übernehmen. 

Irreführende Argumente: Warum will die EU-Kommission bestimmte Gentechnik-Pflanzen von den Gesetzen ausnehmen?

Im Einklang mit den großen Agrarkonzernen führt die Europäische Kommission drei Hauptargumente für eine Änderung der Gentechnikvorschriften an:

  • die neue Gentechnik liefere angeblich Vorteile für die „Nachhaltigkeit“; 
  • die neuen Gentechnik-Pflanzen seien genetisch ganz ähnlich wie Nicht-Gentechnik-Pflanzen; und 
  • es sei zu schwierig, die geltenden Gesetze anzuwenden.


 

Doch alle drei dieser Argumente sind unbegründet. 

(1) Die neue Gentechnik ist nicht nachhaltig und wird nicht zu einem geringeren Pestizideinsatz führen

Die Europäische Kommission behauptet, dass Pflanzen, die mit neuen gentechnischen Verfahren hergestellt wurden, „zu einem nachhaltigeren Lebensmittelsystem” beitragen können. Angeblich sollen Pflanzen gentechnisch so verändert werden, dass sie beispielsweise gegen Krankheiten resistent sind. Dies würde es den Landwirt*innen ermöglichen, den Einsatz von chemisch-synthetischen Pestiziden zu senken. 

Doch dabei ignoriert die Kommission, dass sich die neue Gentechnik bereits in den Händen einiger weniger multinationaler Unternehmen wie Bayer/Monsanto und Corteva ist. Allein diese beiden Unternehmen hatten bis Ende 2020 rund 120 internationale Patentanträge für Saatgutprodukte eingereicht, die mit sogenannten Genome-Editing-Verfahren hergestellt wurden. 

Die großen Agrarkonzerne produzieren sowohl Saatgut als auch chemisch-synthetische Pestizide. Warum sollten sie die neue Gentechnik einsetzen, um die Abhängigkeit der Landwirte von Chemikalien zu verringern? In der Tat haben sie das gleiche Versprechen schon einmal abgegeben – und nie gehalten.  

Heute ist die überwiegende Mehrheit der gentechnisch veränderten Nutzpflanzen so konstruiert, dass sie das Spritzen mit giftigen Herbiziden aushalten, die mit dem Gentechnik-Saatgut zusammen verkauft werden. Die erste genom-editierte Nutzpflanze, die auf den Markt kam – ein Raps der US-Firma Cibus, der seit 2014 in den USA angebaut wird – ist eine solche herbizidtolerante Gentechnik-Pflanze. Viele der neuen Gentechnik-Pflanzen in der „vorkommerziellen Phase“ sind laut einer Studie der EU-Kommission ebenfalls herbizidtolerant.

Gentechnisch veränderte Pflanzen, die gegen Krankheiten resistent sind, werden möglicherweise in einigen öffentlichen Laboren erforscht. Es gibt jedoch keine Anzeichen dafür, dass sie sich im Anbau bewähren und tatsächlich vermarktet werden können – weder in Europa noch in Ländern mit weniger strengen Gentechnikgesetzen.

(2) Gentechnik ist nicht dasselbe wie Evolution. Die genetischen Veränderungen sind nicht dieselben, die in der Natur vorkommen.

Die EU-Kommission argumentiert weiter, dass die neuen Gentechnik-Pflanzen Nicht-Gentechnik-Pflanzen so ähnlich sind, dass eine Gentechnik-Regulierung nicht gerechtfertigt sei. 

Doch selbst wenn kein artfremdes Erbgut im gentechnisch veränderten Organismus verbleibt, führen die bei der Gentechnik angewandten Laborverfahren zwangsläufig zu Veränderungen, die in der Natur so nicht vorkommen. Die Entwickler*innen nutzen die neue Gentechnik, um komplexe genetische Veränderungen zu erzielen, die ohne Gentechnik nicht möglich wären. Hinzu kommt, dass sie bei weitem nicht alle Änderungen, die durch das Gentechnikverfahren bewirkt werden, kontrollieren können. Sowohl die beabsichtigten als auch die unbeabsichtigten Änderungen des Erbguts von Pflanzen können zu Risiken für Ökosysteme und Nahrungsmittelproduktion führen. 

Wissenschaftler*innen haben sogar dargelegt, dass die mit den neuen Gentechniken verbundenen Risiken ähnlich oder sogar noch größer sein könnten als bei den bestehenden Gentechnikverfahren. 

(3) Die Durchsetzung des EU-Gentechnikrechts erfordert ein Engagement für globale Zusammenarbeit, nicht für globale Konzerne

Die EU-Kommission ist der Ansicht, dass die bestehenden Gentechnikgesetze der EU zu schwer durchsetzbar sind, weil wir nicht alle Erzeugnisse der neuen Gentechnik aufspüren können, die illegal (d. h. ohne GVO-Zulassung) in die EU gelangen könnten. Dies ist in der Tat ein Problem, das gelöst werden muss, und der einzige Weg, es zu lösen, sind Forschungsanstrengungen und weltweite Zusammenarbeit. 

Beides hat die Kommission bisher nicht getan. Wissenschaftler*innen der EU haben „theoretische Überlegungen“ angestellt, wie man Produkte der neuen Gentechnik nachweisen, identifizieren und quantifizieren kann, ohne diese aber im Labor zu überprüfen. Empfehlungen von Wissenschaftler*innen und deutschen Behörden, eine internationale Datenbank für Produkte der neuen Gentechnik einzurichten, wurden bislang nicht befolgt.  

Die EU darf nicht vor der Intransparenz der Saatguthersteller einknicken, die offensichtlich in der Lage sind, ihre eigenen patentierten Produkte zu verfolgen, aber nicht wollen, dass die Behörden in der Lage sind, dasselbe zu tun.


Lasst uns über echte Fortschritte nachdenken. Welche Zukunft wünscht sich die Fraktion der Grünen/EFA für unsere weltweite Nahrungsmittelproduktion?

Als Abgeordnete der Grünen/EFA-Fraktion können wir eine Schwächung der Lebensmittel- und Umweltstandards der EU nicht hinnehmen. Von den großen Agrarkonzernen müssen wir mehr verlangen, nicht weniger. Schon gar nicht können wir sie von der Regulierungsaufsicht ausnehmen. Die Europäische Union muss insgesamt mehr tun für unser Klima, unsere Lebensmittelproduktion, unsere Gesundheit und Natur.

Wir bleiben dabei: für die neue Gentechnik ist kein Platz in einer nachhaltigen Landwirtschaft. Nur eine bäuerliche Agrarökologie kann reiche Ernten liefern, die dem Klimawandel standhalten und nicht von chemisch-synthetischen Pestiziden abhängig sind.

Lasst uns keine Zeit mit der Diskussion falscher Lösungen verschwenden, die von der Agrarindustrie propagiert werden. Anstatt das EU-Gentechnikrecht zu ändern, um ein bahnbrechendes EuGH-Urteil zu umgehen, sollten wir Maßnahmen ergreifen, mit denen Anbaumethoden ausgeweitet werden, die mit der Natur und nicht gegen sie arbeiten.


Autoren:
Greens/EFA MEPs
Martin Häusling (DE),
Benoit Biteau (FR),
Eleonora Evi (IT),
Claude Gruffat (FR),
Tilly Metz (LU),
Michèle Rivasi (FR),
Thomas Waitz (AT)
Sarah Wiener (AT)


More information:
FRANZISKA ACHTERBERG: Biodiversity campaigner
franziska.achterberg@ep.europa.eu